Li Qiang: Der Architekt von Chinas wirtschaftlicher Diplomatie und seine Reise nach Deutschland
Wer ist Li Qiang?
Li Qiang (李强), geboren im Juli 1959 in Rui’an in der chinesischen Provinz Zhejiang, ist seit März 2023 Premierminister der Volksrepublik China. Als enger Vertrauter von Staatspräsident Xi Jinping gilt er als einer der mächtigsten Männer im chinesischen Staatsapparat. Seine politische Karriere begann er als junger Beamter in Zhejiang, wo er eng mit Xi Jinping zusammenarbeitete, der damals Parteisekretär der Provinz war.
Li studierte Maschinenbau und absolvierte später ein Executive MBA-Studium an der Cheung Kong Graduate School of Business. Er zeichnete sich durch seine wirtschaftsfreundliche Haltung und Innovationsfreude aus, was ihn zu einer führenden Figur in der digitalen Transformation der Region machte.
Vom Provinzführer zum Premier
Li Qiang war unter anderem Gouverneur der Provinz Zhejiang und später Parteisekretär von Jiangsu und Shanghai – zwei der wirtschaftlich bedeutendsten Regionen Chinas. Besonders als Parteichef Shanghais fiel er durch seine Durchsetzungskraft auf, auch wenn seine Popularität während des rigorosen COVID-19-Lockdowns in der Stadt im Jahr 2022 gelitten hat.
Seine Ernennung zum Premierminister im März 2023 wurde als Signal für Kontinuität und Loyalität gegenüber Xi Jinping gewertet. Gleichzeitig wurde deutlich, dass Li Qiang in wirtschaftlichen Fragen eine pragmatischere und marktorientiertere Linie verfolgt – im Gegensatz zur zuvor beobachteten stärkeren staatlichen Kontrolle.
Li Qiangs Mission: Wirtschaftliche Stabilität und globale Öffnung
Als Premierminister ist Li Qiang für die wirtschaftspolitische Steuerung Chinas verantwortlich – in einer Phase, in der das Land mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert ist: schwache Inlandsnachfrage, hohe Jugendarbeitslosigkeit, eine angeschlagene Immobilienbranche und zunehmende geopolitische Spannungen.
Li versucht, das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen. Er bemüht sich darum, die Privatwirtschaft zu stärken, und war maßgeblich daran beteiligt, den einst verschwundenen Alibaba-Gründer Jack Ma wieder öffentlich auftreten zu lassen – ein symbolischer Schritt zur Befriedung des unternehmerischen Sektors.
Die erste Auslandsreise: Berlin als diplomatischer Meilenstein
Im Juni 2023 unternahm Li Qiang seine erste Auslandsreise als Premierminister – und wählte bewusst Deutschland und Frankreich als Ziele. In Berlin wurde er von Bundeskanzler Olaf Scholz empfangen. Die Reise war nicht nur symbolisch, sondern von strategischer Bedeutung: China signalisiert damit seine Absicht, weiterhin als wirtschaftlicher Partner auf Augenhöhe mit Europa zu agieren.
Li und Scholz unterzeichneten Vereinbarungen zur Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, insbesondere in den Bereichen Klima, Digitalisierung und nachhaltige Transformation. Die sogenannte „Klimaund Transformationspartnerschaft“ soll ein Gegengewicht zur wachsenden Sorge vor wirtschaftlicher Entkopplung („Decoupling“) bilden.
Markus Söder trifft Li Qiang: Bayern im Fokus chinesischer Diplomatie
Ein besonders beachtetes Treffen fand zwischen Li Qiang und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder in München statt. Dabei wurde betont, wie wichtig die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und dem Freistaat Bayern sind. Unternehmen wie BMW, Siemens und Infineon pflegen intensive Beziehungen zum chinesischen Markt.
Markus Söder betonte die Chancen der Kooperation, vor allem im Bereich der Elektromobilität und bei grünen Technologien. Für Söder war das Treffen auch eine Gelegenheit, Bayern als Innovationsstandort im internationalen Wettbewerb zu positionieren.
Kritik von Michael Roth (SPD): Warnung vor politischer Naivität
Doch nicht alle begrüßten das Treffen zwischen Söder und Li Qiang uneingeschränkt. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth äußerte scharfe Kritik. Er warf Söder „Ludwig-II.-haftes Verhalten“ vor und bezeichnete das Treffen als PR-Coup für die chinesische Seite. Roth warnte davor, sich von kurzfristigen Wirtschaftsinteressen leiten zu lassen und betonte, dass Deutschland seine Werte und sicherheitspolitischen Interessen nicht auf dem Altar ökonomischer Vorteile opfern dürfe.
Diese Kritik zeigt das Spannungsfeld, in dem sich die deutsche Chinapolitik derzeit bewegt: zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit und sicherheitspolitischer Verantwortung.
Li Qiang in Berlin: Symbolik und Realität
In Berlin war Li Qiang auch auf dem China-Deutschland-Wirtschaftsforum zu Gast. Dort trafen sich Vertreter beider Länder, um über Investitionen, Innovation und Zusammenarbeit in Bereichen wie Wasserstofftechnologie, künstliche Intelligenz und Infrastruktur zu diskutieren. Die Rede von Li Qiang betonte die Notwendigkeit multilateraler Zusammenarbeit und warnte vor einseitigen Schutzmaßnahmen.
Dabei wurde auch deutlich, dass China bemüht ist, das Narrativ der Konfrontation zu durchbrechen. Li Qiang sprach sich klar für “De-Risking” statt “Decoupling” aus – also für eine Minimierung von Abhängigkeiten, ohne die Beziehungen komplett zu kappen.
Strategischer Ausgleich: Europas Drahtseilakt
Li Qiangs Besuch in Europa muss auch im Kontext der globalen geopolitischen Verschiebungen gesehen werden. Während sich die USA zunehmend auf Konfrontationskurs mit China begeben, versucht Europa – insbesondere Deutschland – einen strategischen Ausgleich zu finden. Es geht darum, wirtschaftliche Interessen zu wahren, ohne politische Werte zu verraten.
Die Haltung der Bundesregierung spiegelt diesen Balanceakt wider: China bleibt ein systemischer Rivale, aber auch ein Partner beim Klimaschutz und ein Markt von zentraler Bedeutung.
Wirtschaftliche Implikationen für Deutschland
Für deutsche Unternehmen ist China sowohl Absatzmarkt als auch Produktionsstandort. Die Automobilindustrie, Maschinenbau und Chemie zählen zu den wichtigsten Sektoren mit China-Geschäft. Li Qiang betonte während seines Besuchs die Bedeutung stabiler Rahmenbedingungen für Investoren – ein Signal an Firmen, die aufgrund wachsender Unsicherheiten über einen Rückzug aus China nachdenken.
Gleichzeitig wurden Stimmen laut, die vor einer zu großen Abhängigkeit von China warnen. Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie riskant einseitige wirtschaftliche Beziehungen sein können – Lehren, die nun auch auf das Verhältnis zu China angewendet werden.
Li Qiang als Gesicht eines neuen Pragmatismus?
Die Rolle Li Qiangs wird von internationalen Beobachtern unterschiedlich bewertet. Einerseits steht er für Kontinuität im autoritären Führungsstil der KPCh – andererseits deutet seine wirtschaftsfreundliche Rhetorik auf einen gewissen Pragmatismus hin. In einer Zeit globaler Unsicherheiten versucht er, Chinas Image als verlässlicher Partner wiederherzustellen.
Doch letztlich bleibt die Frage offen, wie groß sein tatsächlicher politischer Spielraum ist. Entscheidend ist, ob er es schafft, die wirtschaftliche Erneuerung mit der politischen Linie der Partei zu vereinbaren.
Fazit: Ein Mann zwischen Systemtreue und globalem Dialog
Li Qiang verkörpert den Wandel, den China im 21. Jahrhundert anstrebt: eine hochindustrialisierte, technologiegetriebene Weltmacht, die zugleich versucht, politische Spannungen im Zaum zu halten. Sein Besuch in Deutschland war ein bedeutendes Zeichen für die Wiederaufnahme des Dialogs – doch auch ein Spiegel der inneren Widersprüche westlicher China-Strategien.
„Ina Müller Offiziell“ verfolgt diese Entwicklungen weiter und bietet tiefgreifende Analysen zu internationalen Beziehungen, Diplomatie und geopolitischen Akteuren wie Premier Li Qiang.